Was haben Verschwörungs­theorien mit Corona zu tun?

Hat die Coronapandemie verschwörungstheoretisches Denken befördert? Das lässt sich nicht eindeutig bestätigen. Laut einer Befragung des Forums für Empirische Sozialforschung für die Konrad-Adenauer-Stiftung im Jahr 2020 haben die Anti-Corona-Maßnahmen den Glauben an einen intakten Sozialstaat vielmehr gestärkt. Gleichzeitig hat die Coronapandemie deutlich gemacht, dass Verschwörungstheorien in der Mehrheitsgesellschaft weit verbreitet sind. Verschwörungstheoretisches Denken basiert auf einfachen Dualismen und Schuldzuweisungen und korrespondiert mit rechten Inhalten, es stülpt diese nach außen. Da der Ursprung des Virus in China angenommen wird, hat in der Pandemie vor allem der antiasiatische Rassismus zugenommen: Asiatisch gelesene Menschen wurden vermehrt verbal und körperlich angegriffen. Geschichtsrevisionismus und Antisemitismus gehen verstärkt in die öffentliche Debatte ein – etwa wenn die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung mit der NS-Diktatur oder die G-Regeln mit der systematischen Verfolgung und Vernichtung der Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus gleichgesetzt werden. Beispielsweise trugen einige Personen bei Anti-Corona-Demonstrationen einen dem Davidstern nachempfundenen Aufnäher mit der Schrift „Ungeimpft“ (Abb. 1) und verstanden sich als die „neuen Juden“.

Gibt es Parallelen zwischen früh­eren Pandemien und COVID-19?

Die Coronapandemie wird häufig durch das Prisma der Spanischen Grippe gesehen. Von 1918 bis 1919 forderte sie mehr Tote als der Erste Weltkrieg. Fragen nach dem Umgang mit dem Virus, seiner Verbreitung oder seinem Ursprung beschäftigten die Menschen damals und tun es heute wieder. In einigen Ländern gab es Schulschließungen, die U-Bahnen fuhren nicht, Kirchen waren geschlossen.

Dokumente aus dem Kontext der Pockenimpfung im 19. Jahrhundert erinnern ebenfalls an die jetzige Pandemie, beispielsweise an die ablehnende Haltung gegenüber Impfungen oder die Überhöhung und die Kritik an Virolog*innen wie Christian Drosten oder Sandra Ciesek. Die Pocken waren zu der Zeit eine weitverbreitete epidemische Krankheit, die ihre Opfer tötete, sie erblinden ließ oder entstellte.

1798 veröffentlichte Edward Jenner (1749–1823) eine Schrift über die Wirksamkeit einer Pockenimpfung, bei der die Flüssigkeit einer infizierten Kuh in einen Menschen injiziert wurde. Am 14. Mai 1796 impfte Jenner dem hier dargestellten James Phipps die Kuhpocken aus einer Pustel, die sich auf der Hand der Viehmagd Sarah Nelmes gebildet hatte.

Skepsis gegenüber der Kuhpockenimpfung war keine Seltenheit. In der Bildmitte der Karikatur sehen wir Edward Jenner mit Impflanzette, der seine*n Patient*innen im Londoner Krankenhaus St. Pancras impft. Sie zeigen Eigenschaften von Kühen.

Sieben Mitglieder des französischen Komitees für Impfungen schimpfen in dieser Radierung auf Tapp, einen Gesundheitsbeamten, der sich gegen die neue Entdeckung wehrt.

Die Prozession in der Mitte dieser Lithografie spiegelt bekannte Impfkarikaturen des 19. Jahrhunderts wider. Das Gespann wird vermutlich durch den auf einer Kuh sitzenden Edward Jenner angeführt, über dessen Kopf „Dr. Judas“ prangt. Von ihm geht die Schrift „In diesem Zeichen wirst du Gott deinen Herrn besiegen“ aus. Er zieht eine an Pocken erkrankte Frau und den Tod mit Sense hinter sich. Ein Mann auf einem Esel hält das Banner „Das ungiftige Gift“. Vor dem zentralen Gebäude der „Academie Jennerismus“ befinden sich Statuen des „Kalbs der Juden“, des „Ross von Troja“ und des „Stiers der Aegypter“. Über der Spitze des Bauwerks fliegt eine Eule, die Allegorie des Wissens, mit einem Federkiel im Schnabel. Sie ist mit „Staats Medizin“ beschriftet. Auf den rechts platzierten Gebäuden prangen Schriftzüge, die Verbrecher- oder Krankheitstypen aufzählen, z. B. Mörder, Räuber, Diebe. Auf dem Hügel ist eine Zusammenkunft von Hexen in vollem Gange. Dessen ungeachtet dösen die Mitglieder der Universität im Vordergrund des Bildes. Unten ist die Sterbestatistik in Deutschland und Frankreich abgebildet.

Bilder aus dem Umfeld von Nittinger sind häufig antisemitisch. Impfgegner*innen führen hier den Niedergang Deutschlands auf Impfungen zurück – die vermeintlich von Jüdinnen und Juden vorantrieben werden. Bereits in den 1850er-Jahren gab es Impfgegner*innen wie den aus Bietigheim stammenden Carl Georg Gottlob Nittinger (1804–1874). Seine Argumente publizierte er vor allem in der Abhandlung „Über die 50-jährige Impfvergiftung des württembergischen Volkes“, das zum Standardwerk der damaligen Impfgegner*innen wurde. Nittinger kritisierte Edward Jenners Veröffentlichungen als „Ausschussbuch von Krankengeschichten“ und betonte den schädlichen Einfluss der Impfung auf das Bevölkerungswachstum, die Wehrtüchtigkeit und die Lebenserwartung.

Der Virologe Christian Drosten, der sich auf die Erforschung von SARS-Viren in der Berliner Charité spezialisiert hat, steht während der Coronapandemie im Fokus des öffentlichen Interesses. Drosten wurde der breiten Öffentlichkeit als Berater der Bundesregierung und als regelmäßiger Gast des Podcasts „Coronavirus-Update“ bekannt. Sein Antlitz ziert heute Zeitschriften, Tassen und T-Shirts.

Drostens Popularität ist vergleichbar mit der von Edward Jenner im 19. Jahrhundert, wie dieses Aquarell zeigt. Die Buchstaben seines Namens repräsentieren Asklepios, den römisch-griechischen Gott der Heilkunst. Dieser schickt Hygieia, die personifizierte Gesundheit, zu den vier Erdteilen, um Jenners Entdeckung zu verbreiten.