Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten gibt es zwischen älteren und heutigen Verschwörungs­theorien?

Heutzutage sind Verschwörungstheorien im gesellschaftlichen Diskurs am Rand verortet. Das war jedoch nicht immer so. Denn die Präsenz und Bedeutsamkeit von Verschwörungstheorien in einer Gesellschaft hängt unmittelbar mit gesellschaftlichen Verhältnissen und damit zusammen, wer die Wissenshoheit für sich beanspruchen kann. Vor der Entdeckung der Druckerpresse und der Verbreitung von Wissen im 15. Jahrhundert besaß die katholische Kirche das Informationsmonopol. Im 16. Jahrhundert stand Wissen nur einigen wenigen zur Verfügung. Theorien zu geheimen Machenschaften wurden von privilegierten Eliten konstruiert, die Lesen und Schreiben konnten. Diese Theorien stellten zugleich das etablierte Wissen dar. In der Zeit der deutschen Naturphilosophie Friedrich Wilhelm Schellings um 1800 stand das Göttliche und Absolute hinter Naturphänomenen wie Dürre und Flut, Blitz und Donner.

Noch bis ins 19. Jahrhundert basierte die Vorstellung von der Krankheit auf der antiken Idee, dass in der Luft sogenannte Miasmen (altgriechisch: miasma, zu Deutsch: „Verunreinigung“), also „faulige Materien“ schweben, die Krankheiten verursachen. Das kommt einer Verschwörungstheorie im heutigen Sinne gleich. Zu dieser Zeit finden sich Grafiken, die die Cholera als Tod darstellen, der aus den Wolken auf „Gewinner wie Besiegte“ herabsinkt (Abb. 1). Diese Vorstellung änderte sich erst 1858 mit der Erfindung der Zellularpathologie durch Rudolf Virchow (1821–1902), der Veränderungen in den Zellstrukturen als Grund für Krankheiten festmachte.

Auch Anthroposoph*innen wie Rudolf Steiner (1861–1925) glaubten, dass Krankheiten auf Dysregulationen der Lebenskräfte zurückgehen, die im sogenannten Ätherleib zu suchen sind. Fieber könne Kindern helfen, sich gegen die Umwelt zu behaupten. Die Impfung verhindere aber, dass der Körper selbstständig seine natürlichen Lebenskräfte entfaltet. Das ist der Grund, weshalb sich heute einige Anhänger*innen der Lehren Steiners und seiner Waldorfpädagogik sowie Esoteriker*innen nicht impfen lassen wollen. Der Gedanke, dass der Mensch gegen seine Umwelt ankämpfen müsse und nur die Stärksten fortbestehen, geht auf die pseudowissenschaftliche Disziplin der Eugenik im 19. Jahrhundert zurück. Die Eugenik mündete im Nationalsozialismus in der sogenannten „Rassenhygiene“, insbesondere im sogenannten „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ 1933 und den daran anschließenden „Euthanasie“-Ermordungen von psychisch kranken oder nicht neurotypischen Menschen.

Sagen Wissenschaften die Wahrheit?

Die Wissenschaften waren einst ideologisch geprägt. In der Kolonialzeit waren etwa rassistische, teilweise menschenrechtswidrige Methoden in der Medizin üblich. Dies zeigt sich beispielsweise in der Arbeit von Robert Koch, der zur Erforschung der Schlafkrankheit das arsenhaltige Mittel Atoxyl an Menschen auf den Sese-Inseln testete. Er spritzte es ihnen in hoher Dosierung und nahm dabei Schmerzen, Erblindung und Tod von vielen Personen in Kauf. Gleichzeitig hatten sogenannte „rassekundliche“, physiognomische Arbeiten, in denen Individuen rassenidiologisch klassifiziert und erniedrigt wurden, seit dem 19. Jahrhundert Hochkonjunktur. Sie waren der ideologische Nährboden für den Rassenantisemitismus während des Nationalsozialismus. Zu dieser Zeit gehörten antisemitische Verschwörungstheorien dem etablierten Wissen an und wurden von NS-Obrigkeiten in Zeitschriften, Pamphleten, im Radio, im Kino sowie in zahlreichen Propaganda- und Kunstausstellungen wie „Der ewige Jude“ (Abb. 2 und 3) oder „Entartete Kunst“ 1937 verbreitet. Hier wurden das angebliche Zusammenwirken des „Judentums“ und der „Freimaurerei“ mit dem „Bolschewismus“ präsentiert, jüdische Künstler*innen wurden als „undeutsch“ diffamiert, die Kunst der Moderne verunglimpft.

Die als „ewiger Jude“ dargestellte Person verkörpert den westlichen Kapitalismus und sowjetischen Bolschewismus zugleich. Die Ausstellung wurde am 8. November 1937 im Deutschen Museum in München eröffnet und war als Wanderausstellung konzipiert. Sie diente der Verbreitung des Antisemitismus.

Wissenschaftliche Theorien vs. Verschwörungs­theorien

Der Unterschied zwischen den heutigen Verschwörungstheorien und wissenschaftlichen Theorien ist klar: Während Wissenschaftler*innen möglichst viele Fakten sammeln und die eigene Hypothese immer wieder hinterfragen, „belegen“ Verschwörungstheoretiker*innen ihre Perspektiven mit einigen wenigen Quellen und Beweisen. Während die Wissenschaft sich der Komplexität der Welt bewusst ist und deshalb die eigenen Erkenntnisse immer wieder infrage stellt und überprüft, dominiert bei Verschwörungstheoretiker*innen der Glaube an das, was man meint „entdeckt“ zu haben.