matter of fact

Rechtspopulis­mus und Antisemitis­mus

Was haben Verschwörungs­theorien mit Rechtspopulismus und Antisemitismus zu tun?

Verschwörungstheorien reduzieren die Komplexität der modernen Welt auf die Verfehlungen einzelner Personen und Personengruppen. In einigen Verschwörungstheorien treten „die Rothschilds“ oder „die Rockefellers“ als führende Protagonist*innen auf. Eigentlich handelt es sich um jüdische Bankiersfamilien. Doch in den Verschwörungstheorien knüpfen diese Namen an tradierte antisemitische Bilder an, die Jüdinnen und Juden mit Geld und Finanzen verbinden. Diese Bilder gehen zurück auf Berufsverbote zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert gegen die jüdische Bevölkerung, die für Christ*innen verbotene Betätigungsfelder ausüben musste wie den Geldverleih oder den internationalen Handel. In der antisemitischen Rhetorik stehen „die Juden“ symbolisch für nationale Entwurzelung oder korrupte, finanzielle Machenschaften. Aus dem historischen Unrecht wird eine schuldhafte Absicht konstruiert: Jüdinnen und Juden hätten sich bewusst für den Geldverleih entschieden, um ein kapitalistisches Wirtschaftssystem umzusetzen und um dieses zu lenken.

Aber auch ohne die Nennung von jüdischen Akteur*innen können Verschwörungstheorien antisemitische Komponenten enthalten. Sie sprechen nicht mehr von „Juden“, sondern von „der Hochfinanz“, (US-amerikanischer) „Ostküste”, einer „Medienelite” oder von „Zionisten”. In solchen Zusammenhängen stehen die Redewendungen „gewisse Gruppen” oder „einflussreiche Kreise” ebenfalls für Jüdinnen und Juden. Diese Redewendungen können dann bewusst oder unbewusst vom Publikum oder von Rechtspopulist*innen mit antisemitischen Projektionen angefüllt werden. Rechtspopulist*innen suchen daher immer wieder verschwörungstheoretische Veranstaltungen auf, um impliziten Antisemitismus explizit zu machen und ihn in ein geschlossenes, völkisches Weltbild zu überführen  (Abb. 1 und 2).

Rechtsextreme Teilnehmer*innen einer Anti-Corona-Demonstration tragen T-Shirts mit dem Schriftzug „Kraft durch Freunde“. Diese Aufschrift bezieht sich auf die nationalsozialistische Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ im NS-Regime. Sie bestand von 1933 bis 1945 und organisierte kulturelle und touristische Aktivitäten. Damit sollten die Arbeiter*innen in die „Volksgemeinschaft“ integriert werden.

Mit Verweis auf Sophie Scholl, eine bekannte, deutsche Widerstandskämpferin im Nationalsozialismus, inszenieren sich Impfgegner*innen auf geschichtsrevisionistische Weise als Held*innen. Indem sie gegen die Schutzvorkehrungen demonstrieren, wollen sie vermitteln, der Widerstand gegen die demokratisch gewählte Bundesregierung sei dasselbe wie der Widerstand gegen die Nazis und ihr illegitimes Regime. Unsere demokratische Regierung wird dabei zu einer „Diktatur“ umgedeutet. Oft sehen sich die Demonstrant*innen als Opfer der Corona-Schutzmaßnahmen und setzen sich mit den Opfern des Nationalsozialismus auf eine Stufe.

Warum sind Verschwörungs­theorien gefährlich?

Zwischen Rechtspopulisten und Verschwörungstheoretiker*innen gibt es konkrete Verbindungen. Ralf Ludwig, Mitbegründer der Partei dieBasis, ist zugleich Anwalt von Michael Ballweg. Der Medienunternehmer Ballweg, der der Reichsbürgerbewegung angehört, organisierte Proteste gegen Schutzmaßnahmen während der Coronapandemie unter der Bezeichnung „Querdenken 711“. Ludwig setzte die Auflagen der Polizei bei Demonstrationen mit dem Handeln des SS-Obersturmbannführers Adolf Eichmann gleich, der im Nationalsozialismus an zentraler Dienststelle für die Vertreibung, Verfolgung, Deportation und den Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden mitverantwortlich war. Ken Jebsen, der als Journalist tätig war, rief die rechte „Mahnwachenbewegung“ ins Leben und ist Betreiber des verschwörungstheoretischen Kanals KenFM. Der ehemals als vegane Koch und Influencer tätige Atilla Hildmann ist heute rechtsextremer Aktivist und bekennender Verschwörungstheoretiker. 
Der Sänger Xavier Naidoo hat einen eigenen Telegram-Kanal, auf dem er Rechtsterroristen verherrlicht. Atilla Hildmann bezeichnet er als „seinen Bruder im Geiste“.

Rechtsextreme Online-Communities fördern Verschwörungstheorien und Hate Speech, glorifizieren Täter*innen, diffamieren Aktivist*innen und regen zu Nachahmungen an. Sie bieten eine Grundlage für terroristische Gewalttaten wie die Anschläge von Hanau am 20. Februar 2020, in Halle am 9. Oktober 2019 oder der Mord in einer Tankstelle in Idar-Oberstein am 18. September 2021. Der erschossene Kassierer hatte den Täter auf die coronabedingte Maskenpflicht hingewiesen. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Tatverantwortlichen verschwörungstheoretische Plattformen nutzten und von diesen inspiriert wurden.